Ein idyllisches Bogenturnier auf Friesmoor wird zum Schauplatz eines tödlichen Mordes. Kommissar Böhm taucht ein in ein dichtes Netz dunkler Geheimnisse, das tief in der Vergangenheit der Insel verwurzelt.
Doch hinter dem Verbrechen steckt mehr als nur ein Mord: Ein mächtiges Erbe und gefährliche Pläne drohen die Inseltradition zu zerschlagen. Zwischen verdächtigen Figuren, einer spurlos Verschwundenen und der Rückkehr eines skrupellosen Mannes eskaliert die Lage dramatisch.
Ein gefährlicher Wettlauf gegen unsichtbare Gegner beginnt, um die schockierende Wahrheit ans Licht zu bringen.
Tauchen Sie ein in diesen packenden Nordsee-Krimi, in dem hinter jeder Idylle eine tödliche Gefahr lauert und nichts ist, wie es scheint!
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Leseprobe
Die Erinnerungen an das alljährliche Hafenfest im Frühjahr und das bunte Treiben beim Moorfest vor wenigen Wochen waren längst verblasst. Die warme Brise hatte sich in eine kühle Herbstluft verwandelt, und die Krähen, die aus der Ferne krächzten, gaben dem Ganzen einen Hauch von Melancholie. Der Herbst klopfte an. Während viele sich in gemütliche Decken hüllten, hatte Heiner Gerlach, der nimmermüde Bogensporttrainer des SV Friesmoor, mit seinen Leuten andere Pläne – sie steckten mitten in den Vorbereitungen für das größte Bogensportturnier an der gesamten Nordseeküste.
Heiner Gerlach, ein Mann Mitte fünfzig mit fülligem, bereits ergrautem Haar, war eine lebende Legende in der Bogensport-Szene. Er hatte mehr Meistertitel in der Recurve-Klasse gesammelt, als die meisten Menschen Socken im Schrank hatten. Jetzt, als Trainer beim SV Friesmoor, steckte er all seine Leidenschaft in die Förderung seiner Schützlinge. Seit vier Jahren widmete er sich mit Herzblut dem Training der Friesmoorer Bogenschützen und brachte ihr Können mit jeder Einheit auf ein neues Level. Seine Expertise und seine Erfahrung waren für den Verein von unschätzbarem Wert. Seine Unterstützung trug maßgeblich dazu bei, dass einige Schützen sich für höhere Meisterschaft qualifizieren konnten. Heiner Gerlach verstand es wie kein Zweiter, die Flamme der Motivation in seinen Schützlingen zu entfachen und sie am Lodern zu halten.
Heiner war die Seele des Vereins. Seine Leidenschaft für den Bogensport schweißte das Team zusammen und sorgte für eine einzigartige Atmosphäre, in der jeder sein Bestes geben wollte. Er war die Legende des Vereins. Sein Name öffnete Türen und zog Talente an. Die Leute kamen nicht nur wegen des Bogensports, sondern auch, um einen Teil seiner Erfolgsgeschichte zu sein.
Der 3D-Parcours war mehr als nur ein Wettkampfplatz; er war ein Erlebnis. Die Sonnenstrahlen tanzten durch das Blätterdach, während die Pfeile pfeifend ihr Ziel suchten. Der Duft von Harz und Moos erfüllte die Luft, und die Schützen fühlten sich eins mit der Natur. Heiner hatte aus dem Wald ein magisches Reich erschaffen, in dem jeder Schuss ein Abenteuer war. Der SV Friesmoor war nicht mehr nur ein Verein, sondern ein Ort, an dem Menschen und Natur verschmolzen.
Die Spannung war fast greifbar, als die Schützen ihre letzten Trainingseinheiten absolvierten. Jeder Zug am Bogen war ein Versprechen auf das bevorstehende Turnier. Heiner, der Taktgeber des Teams, inspirierte jeden Einzelnen. Seine Augen funkelten vor Begeisterung, als er seine Schützlinge anfeuerte. Das Ziel war klar: Sie wollten nicht nur gewinnen, sondern auch zeigen, was sie gemeinsam erreichen konnten.
»Das ist ein toller Erfolg für dich, Heiner«, lobte der Vorsitzende des Sportvereins, Andreas Römer, mit einem anerkennenden Blick.
Andreas Römer, ein zierlicher Mann von kaum 1,70 Meter, wirkte neben Heiner wie ein Junge neben seinem Vater. Der Größenunterschied war so krass, dass man sich fragte, wie diese beiden überhaupt Freunde werden konnten. Doch ihre Verbindung war unbestreitbar.
Heiner lächelte, aber in ihm war diese bescheidene Art, die immer den Erfolg des Teams betonte. »Für uns, Andreas, für uns«, antwortete er, während sein Blick die Bedeutung der Worte untermalte. »Denn ohne dein Vertrauen in mich wäre das alles hier nicht möglich gewesen – den Bogensport auf Friesmoor in so kurzer Zeit zu etablieren.« Geschickt lenkte er die Anerkennung auf den Vorsitzenden, denn Heiner wusste genau, wie man die richtigen Leute hinter sich brachte. Er war ein Meister darin, Andreas Römer und die führenden Köpfe der Halbinsel für seine Ideen zu gewinnen und sie zu leidenschaftlichen Verfechtern seiner Visionen zu machen.
Aber Heiner hatte mehr als nur warme Worte im Gepäck. Er hatte eine außergewöhnliche Idee für das anstehende Turnier, die er kaum erwarten konnte, mit seinem Freund Andreas zu teilen.
»Hör mal, Andreas, ich hab da was im Kopf«, begann Heiner und senkte seine Stimme, als wolle er ein Geheimnis preisgeben. »Beim Turnier – neben den klassischen Wettkämpfen – möchte ich etwas wirklich Aufregendes machen. Etwas, das die Schützen so richtig herausfordert und alle in Staunen versetzt.«
Neugierig hob Andreas eine Augenbraue. »Und was schwebt dir da vor?«
Heiner grinste, ein Funken Begeisterung in seinen Augen. »Ein Schuss aufs Wasser, von einem Ponton aus, auf ein Ziel, das auf einem Boot platziert ist.«
Andreas Römers Augen weiteten sich. »Das klingt gewagt. Aber auch ziemlich spektakulär.« Er kannte die Meeresströmungen wie ein Wissenschaftler seine Formeln, den Wellengang wie ein Musiker seine Noten und den Wind wie ein Seemann seine Kompassrose.
»Genau das wollte ich erreichen«, nickte Heiner. »Und der Gewinner dieser einzigartigen Disziplin bekommt den ‘Goldenen Pfeil’, verbunden mit einem Preisgeld von sage und schreibe 10.000 Euro. Ich hab ein paar Friesmoorer Geschäftsleute dafür begeistern können, die das finanzieren werden.«
Römer war sichtlich beeindruckt. »Das wird definitiv für Gesprächsstoff sorgen.«
Heiner grinste, als könnte er die Aufregung schon förmlich spüren. »Aber das ist noch nicht alles, Andreas. Die Sieger unseres Turniers qualifizieren sich automatisch für unser nächstes Turnier im kommenden Jahr.«
Andreas Römer grinste breit. »Du denkst wirklich an alles, Heiner. Das wird eine großartige Veranstaltung.«
»Oh ja, da bin ich mir sicher«, stimmte Heiner zu. »Und wegen der Presse – ich bin heute Abend im ‘Alten Fährhaus’ mit Cord Jacobs verabredet.«
Mit einem kräftigen Handschlag beendeten sie ihr Gespräch, und Andreas Römer machte sich auf den Weg, während Heiner Gerlach mit einem triumphierenden Lächeln zurückblieb. Die Schlagzeilen schwebten schon vor seinem inneren Auge: sein Foto, groß und die Überschrift fett gedruckt, auf den Titelseiten aller Zeitungen. Endlich wieder im Spiel, endlich wieder jemand!
***
Böhm starrte Hannes mit einem schiefen Grinsen an. »Du hast recht, du siehst aus wie ein Rentner auf Safari. Aber okay, ich geh mal nach etwas anderem suchen«, murmelte er und schmiss die Lederjeans auf das Bett.
Hannes warf noch einen Blick auf die Sachen, die er sich ausgesucht hatte. Ein Safarihut, eine Weste und eine Bundfaltenhose – alles sah aus wie aus einem Schaufenster für die ältere Generation. Doch er schüttelte den Kopf und nahm alles in Kauf. Schließlich war es das Beste, was er in Horsts Kleiderschrank finden konnte, und es würde gut der Tarnung dienen. Das Wichtigste war, unauffällig zu bleiben.
Böhm hatte inzwischen ein schlichtes, aber passendes Outfit gefunden: ein dunkelblauer Pullover und eine schwarze Hose. »Komm, Hannes, wir können uns nicht ewig in Karnevalsoutfits verstecken. Let’s get moving«, sagte er, während er sich schnell anzog.
Jutta stand immer noch in der Tür, ihre Arme verschränkt und beobachtete die beiden mit einem Grinsen. »Das war ja ein Spaß! Aber jetzt wird es ernst, oder?«, fragte sie, als sie sich von der Wand ablöste und sich dem Ausgang näherte. »Und ich werde mitkommen!«
Hannes nickte stumm und packte die Tasche, die er neben sich abgestellt hatte.
Die Tür fiel ins Schloss, und sie machten sich auf den Weg. Sie gingen der kühlen Morgenluft entgegen.
»Wenn wir an dem Haus in der ‘Schneidergasse’ sind, können wir uns das Haus mal genauer ansehen, wo Jutta gefangen gehalten wurde«, sagte Hannes und blickte dabei nachdenklich in die Ferne.
Böhm, der vor ihnen herging, hielt inne und drehte sich dann zu ihnen um. »Das wird ein echtes Abenteuer, das spüre ich. Wenn ich nicht schon alles erlebt hätte, würde ich sagen, der Fall hier ist eine verdammt interessante Herausforderung.«
»Und du hast ja Erfahrung mit sowas«, grinste Jutta.
»Ich sag nur eins: Es gab immer ein kleines Extra, was den Unterschied machte, und das ist genau das, was wir jetzt brauchen«, antwortete Böhm und nickte entschlossen.
Als sie sich der ‘Schneidergasse’ näherten, konnte Hannes sein mulmiges Gefühl nicht ganz abstreifen. Das Gebäude, das er sich vorstellte, sah nicht so aus, als würde es etwas Gutes verbergen.
»Da ist es«, sagte Hannes schließlich und blieb vor einem baufälligen Haus stehen. Es wirkte unheimlich, die Fenster schienen wie Augen, die sie beobachteten, und das Gebäude schien in die Schatten des frühen Morgens zu verschwinden.
»Lass uns schnell und unauffällig schauen, was wir herausfinden können«, schlug er vor.
Böhm schmunzelte und drehte sich zu Hannes. »Du hast also auch ein ungutes Gefühl, was?«
Hannes nickte und verschränkte die Arme. »Ja, irgendetwas an diesem Haus passt nicht. Es wirkt, als hätte es Geschichten zu erzählen, die niemand hören soll. Und trotzdem kommen wir nicht drum herum, uns das Ganze anzusehen.«
Böhm lachte leise. »Genau, das ist die Dosis Abenteuer, die uns nie aus dem Blut geht. Wir kommen nie zu Ruhe, oder?«
Sie standen vor dem Haus, das in der Morgensonne irgendwie unheilvoll wirkte. Die bunten Blumenranken, die sich an den Wänden entlang schlängelten, schienen an den Fenstern vorbeizugehen wie fremde, neugierige Augen, die aus dem Dunkeln starrten. Der Geruch von feuchtem Holz und verwitterten Dächern lag in der Luft. Trotz der Idylle, die der äußere Anschein vermittelte, war da etwas anderes, das Hannes’ Magen zusammenzog.
»Jutta war wirklich hier?«, fragte Böhm und trat einen Schritt näher an das Haus.
»Wir müssen herausfinden, was hier vor sich geht«, antwortete Hannes leise, während er zur Tür schlich.
Das Haus war still, kein Geräusch drang nach draußen. Keine Schritte, keine Stimmen, nichts, was darauf hindeutete, dass jemand zu Hause war. Hannes griff nach der Tür, testete den Griff. Sie war verschlossen. Doch anstatt aufzugeben, beugte er sich nieder und sah sich die Fenster genauer an. Ein Schatten hinter den Gardinen, der sich bei seiner Bewegung zurückzog, ließ ihn aufhorchen.
»Da ist jemand«, flüsterte Hannes.
Böhm nickte und schlich sich ebenfalls auf die andere Seite des Hauses. »Vielleicht sollten wir uns einen anderen Zugang verschaffen.«
Hannes stimmte ihm zu und sie gingen vorsichtig um das Gebäude. Auf der Rückseite fanden sie eine offene Hintertür, die von den Büschen und Pflanzen fast verdeckt war. Der Schuppen, der daneben stand, roch nach feuchtem Holz und altem Werkzeug. Hannes zog vorsichtig an der Tür, sie quietschte leise.
Drinnen war es düster, und der Boden knarrte bei jedem Schritt. Hannes zog sein Handy aus seiner Jackentasche und leuchtete in die dunkle Ecke.
»Das ist der Keller«, murmelte er, als er die geöffnete Tür sah, die ins Dunkel führte.
»Dort unten wurde ich festgehalten«, bestätigte Jutta, den Tränen nahe. Umgestürzte Regale versperrten ihnen den Weg.
Böhm warf Hannes einen prüfenden Blick zu. »Vorsicht, Hannes. Wir wissen nicht, was uns hier erwartet.«
***
Die Widis schlängelte sich lautlos durch die moorige Landschaft, ein zarter Nebel legte sich wie ein Schleier über das stille Wasser. Ein Krähenkrächzen am Ufer durchschnitt die Stille – düster und unheilvoll, als wollte es den nahenden Herbst ankündigen. Die Straßen von Friesmoor lagen menschenleer im Zwielicht der Morgendämmerung, als Karli Kunz mit mäßiger Geschwindigkeit in den verschlafenen Ort fuhr. Vor der alten Steinofen-Bäckerei im historischen Zentrum hielt er, stieg aus und holte sich belegte Brötchen sowie einen heißen Kaffee. Zurück in seinem silbergrauen 2000er Golf glitten seine Augen über die Hauptstraße, die sich zum Hafen hin öffnete. »Hier ist wirklich alles historisch«, murmelte er und parkte so, dass sein Blick das ruhige Wasser einfing.
Im ‘Alten Fährhaus’ war Karl Hansel längst wach. Die Staatsanwaltschaft hatte nichts Belastendes gefunden; die Untersuchungshaft war beendet. Nun stand er am Fenster, die Augen scharf auf das fremde Auto gerichtet, das zu so früher Stunde im Hafen parkte. Von hier oben behielt er den gesamten Hafen im Blick – und kaum etwas entging ihm. Sein Handy klingelte, doch er ignorierte es; der Anrufer gab schließlich auf.
Dann regte sich etwas. Der Fahrer stieg aus, warf achtlos etwas in einen Mülleimer und zündete sich eine Zigarette an. Gemächlich schlenderte er zur ‘Freya’, studierte die Informationstafel, spazierte den Anleger entlang und fotografierte die alte Fähre. Die Kippe warf er achtlos zu Boden, bevor er zum Auto zurückkehrte.
Hansels Gesicht verzog sich zu einer Maske des Zorns. »Unerhört!« Er verabscheute Regelbrecher – zumindest bei anderen. Sich selbst gewährte er oft Ausnahmen.
Als das Auto langsam in Richtung der Deichlücke rollte, stürmte Hansel plötzlich nach draußen. Karli musste scharf bremsen, als der alte Mann unerwartet vor dem Wagen auftauchte.
»Was wollen Sie? Gehen Sie zur Seite!«, rief Karli durch das heruntergelassene Fenster, seine Stimme genervt, aber kontrolliert.
Hansel verschränkte die Arme vor der Brust, seine Augen funkelten. »Sie haben dort hinten etwas verloren«, zischte er und deutete mit einem ruckartigen Nicken in Richtung der ‘Freya’.
Karli zog die Stirn kraus. »Ach ja? Und was soll das sein?«, fragte er mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Desinteresse.
»Ihre Zigarettenkippe!«, donnerte Hansel, die Stimme überschlug sich fast vor Wut. »Umweltverschmutzer! Gehen Sie zurück und heben Sie das Ding auf. Und wenn Sie schon dabei sind, nehmen Sie den restlichen Müll gleich mit! Haben Sie verstanden?«
Karli schüttelte langsam den Kopf, ein müdes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Sie machen sich hier zum Aufseher, was?« Er ließ den Motor laufen, stieg aus und lehnte sich lässig gegen die Fahrertür. Mit einer neuen Zigarette zwischen den Lippen fixierte er Hansel mit kühlem Blick.
»Haben Sie in Ihrem Laden schon Kaffee?«, fragte er plötzlich, als wäre das ganze Theater nie passiert.
Hansel blinzelte verwirrt und musste den Kopf heben, um Karli in die Augen zu sehen. »Äh, nein... wir öffnen erst um elf«, murmelte er, die Aggression wich einem Anflug von Unsicherheit.
»Hab ich mir gedacht.« Karli blies den Rauch langsam aus, als wollte er die Zeit dehnen. »Dann haben Sie ja genug Gelegenheit, sich um den Dreck vor Ihrer eigenen Tür zu kümmern, oder?« Seine Stimme war ruhig, aber jedes Wort nagelte sich in Hansels Nervenkostüm. Die Zigarette glühte in seiner Hand, bevor er sie demonstrativ in den Kies fallen ließ.
Hansel schnappte nach Luft. »Was fällt Ihnen ein?«, fauchte er, die Wut in seinen Augen lodernd. Doch seine Stimme klang plötzlich dünner, unsicher.
Karli musterte ihn ausdruckslos. »Was mir einfällt? Wer von uns beiden hat denn hier mit Drohungen angefangen?« Seine Gelassenheit war beängstigend. Ein Raubtier, das noch nicht zugeschlagen hatte.
***
Kaum eine Woche nach dem aufregenden Bogenturnier in Friesmoor fand schon das nächste Großereignis statt, das alle Bogenschützen in Norddeutschland in den Bann zog. Diesmal war der SV Friesmoor der Gastgeber für das Liga-Turnier an diesem Wochenende. Für die fleißigen Helfer in der Bogensportabteilung des Vereins bedeutete das, sich erneut einer großen Herausforderung zu stellen. Immerhin sollten rund 150 Bogenschützen samt Begleitung verköstigt werden.
Nach dem tragischen Verlust von Andreas Römer, dem Vorsitzenden des Sportvereins, übernahm Bogensporttrainer Heiner Gerlach die Zügel und tat sein Bestes, um die Veranstaltung reibungslos über die Bühne zu bringen. Da diesmal weniger Bogenschützen am Start waren als bei dem Turnier in der Vorwoche, konnte der Aufwand etwas reduziert werden. Die Idee, auf den Festplatz zu verzichten und stattdessen mit einer Bratwurstbude, einer Fischbude und einem Getränkestand auszukommen, fand bei den meisten Sportlern Anklang.
Der offizielle Start für das Turnier war für 12 Uhr angesetzt, doch die Bogenschützen ließen sich Zeit. Von den angemeldeten 150 Schützen gaben sich nur 62 die Ehre. Einige hatten Angst, »Friesmoor horizontal zu verlassen« – wie sie es nannten. Andere hingegen hatten von vornherein ihre Anmeldung zurückgezogen.
Trotzdem blieb Heiner Gerlach gelassen und eröffnete das Liga-Turnier in Friesmoor wie geplant.
»Moin, liebe Bogenschützinnen, liebe Bogenschützen«, begann er, und man konnte die Skepsis in der Menge förmlich greifen. »Ich kann absolut nachvollziehen, wenn so mancher von euch vielleicht lieber nicht hier wäre. Aber wisst ihr, ich bin echt froh, dass ihr wenigstens da seid!« Die Blicke wurden etwas freundlicher, als er ihnen dieses herzliche Lächeln schenkte.
Angesichts der geringen Teilnehmerzahl, die weit weniger als die Hälfte der erwarteten Bogensportler ausmachte, hatte der Sportverein Friesmoor sich etwas Besonderes ausgedacht. Die Neugier in der Menge wuchs, als Heiner andeutete, dass da noch etwas Spannendes auf sie wartete. »Während eure Pfeile fliegen, werden wir hier für heute Abend etwas vorbereiten, das es auf noch keinem anderen Bogenturnier gegeben hat – zumindest soweit ich weiß.« Ein leises Raunen erfüllte die Luft, als er die Spannung weiter anheizte.
»Am Ende dieses ersten Tages wird es auf dem Sportplatz dort hinten Livemusik geben!« Seine Worte wurden von einem aufgeregten Gemurmel begleitet. »Und das ist noch nicht alles. Ihr werdet ein großzügiges Grillbuffet und Getränke vorfinden. Und jetzt kommt das Beste: Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen!« Beifall brandete auf, als er Karl Hansel, dem Wirt des ‘Alten Fährhauses’, für seine großzügige Unterstützung dankte.
Gerlachs Worte gingen fast im Applaus unter, doch er ließ sich nicht beirren. »Ich wünsche euch und uns als Ausrichter dieses Liga-Wochenendes einen harmonischen Verlauf. Mögen all eure Pfeile ins Gold treffen! Alle ins Gold!« Er hob die Hand, und seine Stimme strahlte voller Überzeugung.
»Alle ins Gold!« Ein gemeinsamer Ruf, laut und voller Energie, hallte durch die Menge und demonstrierte Kampfgeist und Zusammenhalt.
Dietrich Böhm wollte die Eröffnung des Liga-Turniers nicht verpassen. Er war beeindruckt von Karl Hansels großzügiger Unterstützung. »Was treibt ihn dazu, den Friesmoorern so entgegenzukommen, wo er doch fast pleite ist? Vielleicht hat unser Gespräch doch einen Keil in sein Gewissen getrieben. Vielleicht hat er einen Rest an Moral, wenn auch nur einen winzigen«, überlegte Böhm. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, während er sich Gedanken machte, wie er Karl aus der Reserve locken könnte. Doch das musste er geschickt anstellen, denn der Gastwirt war mit allen Wassern gewaschen und würde eine Falle sogar gegen den Wind riechen.
Böhm schlenderte durch die Reihen der Bogenschützen, ließ seinen Blick über die Sportler und ihre Bögen gleiten. Auffallend war, dass ausschließlich olympische Recurvebögen zum Einsatz kamen. »Gibt es denn bei einem Liga-Turnier keine anderen Bogenklassen?«, wagte er nachzufragen.
»Ja, schon, aber hier sind nur Recurvebögen zugelassen. Die Compound-Schützen treffen sich dieses Wochenende in Hamburg-Bergedorf«, erklärte ihm der Schütze. Böhm nickte zufrieden und wandte sich der Fischbude zu. Dort entdeckte er Sven Kantack, und das passte ihm perfekt ins Konzept. Er wollte versuchen, Kantack gegen Karl auszuspielen, in der Hoffnung, dass Karl dadurch einen fatalen Fehler begehen könnte, oder Kantack. Die zierliche, gut aussehende Frau an Svens Seite schenke Böhm keine Beachtung.
»Herr Kantack, könnten wir kurz reden?«, eröffnete Böhm das Gespräch.
Sven sah ihn skeptisch an. »Ich weiß nicht, was es mit Ihnen zu besprechen gibt. Wer sind Sie überhaupt?«, wollte er wissen.
»Oh, Entschuldigung, mein Name ist Böhm, Kriminalhauptkommissar Dietrich Böhm«, antwortete der Kommissar und zückte seinen Dienstausweis, den er Sven direkt vor die Nase hielt.
»Ah, Sie sind also der berühmte Friesmoorer Kommissar, von dem alle reden«, versuchte Sven, den Kommissar zu umgarnen.
»Oh, ein Kollege«, entwich es Svens Begleiterin.
»Und Sie sind?«, wollte Böhm nun wissen.
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